Die Transferforschung existiert bereits seit über 100 Jahren – trotzdem gibt es einem enormen Research-Practice-Gap mit einer durchschnittlichen Umsetzungsquote bei Trainings von 20%. Wir haben uns gefragt, woran das liegen kann, und mit Dr. Ina Weinbauer-Heidel, Expertin für Transferforschung, über Trainings und erfolgreichen Trainingstransfer gesprochen. In ihrem Buch „Was Trainings wirklich wirksam macht“ geht sie dieser Frage auf den Grund und macht ihre Erkenntnisse der Transferforschung mit den 12 Stellhebeln der Transferwirksamkeit praktisch zugänglich.

 

Was war für dich der ausschlaggebende Punkt, dich der Transferforschung zu widmen?

 

Dr. Ina Weinbauer-Heidel: Das Thema hat sich mir mit der Zeit einfach aufgedrängt. (lacht) Nach meinem Studium habe ich begonnen in der Unternehmensberatung zu arbeiten. Dort haben wir Fließbänder und Maschinen optimiert und mir ist aufgefallen, dass wir super Konzepte machen, diese aber nicht richtig umgesetzt werden. Das war unbefriedigend und so habe ich begonnen mich mit den Themen Transfer und Umsetzung zu beschäftigen. Als ich später dann anfing an einer Business School zu arbeiten, dachte ich mir, dass ich jetzt endlich die Möglichkeit habe mit Menschen zu arbeiten und diese weiterzuentwickeln, um so etwas zu bewegen.

Meine Aufgabe war es, maßgeschneiderte MBA-Programme zu designen, für die die TeilnehmerInnen nicht wenig Geld bezahlt haben. Das war für mich ein Indiz dafür, dass die Programme auch wirksam sein müssen, da man sonst nicht so viel bezahlen würde.

Langfristig befriedigend war die Arbeit dort aber auch nicht, denn schnell ist die Sinnfrage aufgetaucht: Ist das wirklich sinnvoll, was wir da machen? Ist das wirklich wirksam? Diese Fragen haben mich bis heute nicht mehr losgelassen. Ich wollte Antworten und dafür sorgen, dass sich Menschen weiterentwickeln und das Erlernte auch wirklich im Arbeitsalltag umsetzen. Nachdem ich beim Recherchieren nichts Befriedigendes zu dem Thema gefunden habe, habe ich beschlossen, das Ganze selbst wissenschaftlich anzugehen. So ist im Endeffekt meine Dissertation entstanden – der Rest ist Geschichte.

 

Woran liegt das, dass so wenige Ergebnisse der Transferforschung in die Unternehmenspraxis Einzug gefunden haben? Immerhin gibt es die Transferforschung bereits seit über 100 Jahren.

 

Das habe ich mich auch gefragt und deshalb genau dieses Thema für meine Dissertation gewählt. Bevor ich mit der Arbeit begonnen habe, dachte ich, dass ich jetzt bestimmt den heiligen Gral der Transferforschung finden werde. Ich habe dann aber relativ schnell gemerkt, dass ich nicht die Erste bin, die sich mit dem Thema beschäftigt. 1901 ist die erste offizielle Transfertheorie erschienen. Beim Durcharbeiten dieser über 100-jährigen Geschichte mit rund 4.000 Artikeln habe ich festgestellt, dass es ganz viele kleine heilige Grale gibt, diese in der Praxis aber einfach nicht genutzt werden.

 

Kannst du uns sagen was die genauen Gründe dafür sind?

 

Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist sicherlich, dass Trainings mittlerweile eine gewisse Routine haben. Man bekommt ein fertiges Paket, das man schnell als Lösung für so ziemlich jedes Problem heranzieht. Auf die Art „Wir haben ein Vertriebsproblem – machen wir eine Vertriebsschulung.“ Dass möglicherweise Produkte oder Strukturen optimiert werden müssen, ist oft kein Thema. Stattdessen gibt es das „Pflaster Training“. Das kann man, kennt man und kann man schnell umsetzen – so wie man es bisher auch gemacht hat.

Trainingstransfer kann mit "Pflaster Trainings" nicht funktionieren

© shutterstock
Trainings sind vielfach zur Gewohnheit geworden und das „schnelle Pflaster“ für jegliche Herausforderung.

 

Ein weiterer Grund ist der, dass es den TransferforscherInnen bisher nicht gelungen ist, die Thematik auf eine Art und Weise auszudrücken, die für die Praxis gut und leichtverständlich ist. Paradoxerweise sagt die Transferforschung von sich selbst: Wir haben ein Transferproblem!

Meine Motivation war es, den KollegInnen in den Personalentwicklungsabteilungen die mühsame Kleinarbeit zu ersparen, die es macht, wenn man sich die ganzen kleinen Puzzle-Teilchen aus der Forschungsliteratur zusammen suchen muss. Deshalb habe ich als Zusammenfassung und Quintessenz die 12 Stellhebel in meinem Buch ganz praktisch aufbereitet. So muss nicht jeder wie ich dreieinhalb Jahre investieren. (lacht)

 

Erfolgreicher Trainingstransfer durch die Motivation der Mitarbeiter 

 

Sprechen wir über die praktische Umsetzung. Transfererfolg hat viel mit der Einstellung und Motivation der TrainingsteilnehmerInnen zu tun. Inwiefern kann ich diese als HR-ManagerIn beeinflussen?

 

Ich nenne das den Stellhebel „Transfermotivation“, welcher ganz entscheiden ist. Wenn man sich Kinder anschaut weiß man, dass wir Menschen grundsätzlich den Wunsch haben, Neues zu lernen und neue Dinge zu erleben. Das ist nicht nur bei Kindern so, sondern trifft auch auf Erwachsene zu. Von daher ist es bei Weiterbildungen nicht so, dass von Haus aus keine Motivation vorhanden ist – diese wird oft einfach kaputtgemacht. Häufig kommt es vor, dass die TrainingsteilnehmerInnen von einem Seminar zurückkommen und voller Tatendrang und Ideen sind. Nur leider wird das oft ordentlich gedrückt, zum Beispiel durch Sätze von KollegInnen „Das haben wir aber immer schon so gemacht – wieso jetzt auf einmal ändern?“. Dadurch wird die anfängliche Motivation vom Alltag wieder gebremst.

Das zweite Thema ist das Trainingsdesign selbst. Man sitzt zum Beispiel in einem Seminar, das prinzipiell interessante Inhalte bietet, jedoch nicht zur Lösung des eigenen Problems beiträgt. Stichwort: Stellhebel Inhaltsrelevanz. Seminare bieten häufig viel an Theorie, spannende Modelle, die zwar schon grundsätzlich zur eigenen Herausforderung passen, aber im Endeffekt trotzdem keine direkt umsetzbare Lösung bieten.

Diese Faktoren schwächen klarerweise die Transfermotivation. Deshalb bin ich der Meinung: wenn wir es schaffen, die Motivation der Teilnehmenden nach dem Training nicht kaputt zu machen, dann ist in Punkto Transfererfolg schon viel geschehen.

 

Wie ist das bei MitarbeiterInnen, die aufgrund vergangener Trainingserfahrungen schon demotiviert sind?

 

 In solchen Fällen ist das Thema Motivation zwar etwas schwieriger, aber auch nicht unlösbar. Mein Tipp ist es, aktiv Trainingsmarketing zu betreiben. Gute Möglichkeiten sind zum Beispiel das Weitertragen von Erfolgsgeschichten oder wenn man über Personen berichtet, die ein Training besucht und die gelernten Inhalte umgesetzt haben und dadurch erfolgreicher wurden. Außerdem können schon Bezeichnungen wie „Transfer Level Trainings“ klar signalisieren: „Transfer ist für uns entscheidend. Wir wollen, dass das, was gelernt wird, auch wirklich umgesetzt wird.“ Dadurch holt man auch die Personen, die durch vergangene Trainings demotiviert wurde, wieder ins Boot.

 

Quick-Wins und Stellhebel

 

Wenn ich mich innerhalb meines Unternehmens der Transferförderung widmen möchte: In welchem Bereich soll ich sinnvollerweise zuerst ansetzen? Gibt es Quick-Wins?

 

Diese Frage wird mir bei meinen Trainings sehr häufig gestellt: Gibt es bestimmte Stellhebel, die besonders wichtig sind und sofort funktionieren?

Die gute Nachricht ist: Ja, den gibt es. Die schlechte Nachricht ist: Er ist immer wo anders. Je nach Unternehmen und Programm haben Stellhebel unterschiedliche Wirkungen. Wenn PersonalentwicklerInnen die 12 Stellhebel kennen, wissen sie meistens genau welche für ihr Unternehmen entscheidend sind. Häufig ist zum Beispiel der Stellhebel „Unterstützung durch Vorgesetzte“ besonders wirksam.

Zum Thema Quick Wins ist meine Erfahrung, dass es in der Transferförderung ausschließlich Quick Wins geben darf. Ist dem nicht so, hält man die Maßnahmen nicht durch und der Fokus innerhalb des Unternehmens geht wieder ganz schnell Weg vom Thema Transfer.

 

Hast du Tipps für uns, wie man Quick-Wins erreicht?

 

Dazu gibt es ganz pragmatisch zwei Ansätze: Den Breiten- und den Tiefenansatz.

Beim Breitenansatz geht es darum, sich eine kleine Maßnahme auszusuchen, die bei allen Trainings-und Weiterbildungsprogrammen eingeführt wird. Erst nach einer erfolgreichen Implementierung der Transfermaßnahme, kommt die Nächste dazu. Das kann zum Beispiel ein Transferplanungsfolder sein, den alle TrainingsteilnehmerInnen bekommen und genau eintragen, was sie nach dem Training umsetzen werden. Dadurch ist nicht nur der Stellhebel Transferplanung abgedeckt, sondern es wird gleichzeitig das Signal gesendet, dass Transfer im Unternehmen wirklich wichtig ist.

Beim Tiefenansatz ist es genau umgekehrt: dort nimmt man ein Trainingsprogramm, das im Unternehmen einen hohen Stellenwert hat und von dem die Geschäftsführung überzeugt ist. In der Praxis sind das meistens Programme im Vertriebs-oder Führungsbereich. Hat man sich für ein Programm entschieden, so beginnt man dieses zum Transfervorzeigeprogramm zu machen und es über alle Stellhebel hinweg zu optimieren. Wichtig dabei ist, dass das gemeinsam mit den Stakeholdern, den Führungskräften und den TrainerInnen passiert. Nach der erfolgreichen Optimierung des Programms wird das Nächste optimiert.

 

Hast du noch ein paar nicht so typische Interventionen aus deinem Buch, die du uns verraten möchtest?

 

Sehr gerne! Häufig werde ich komisch angeschaut, wenn ich sage, dass es eine gute Intervention ist, Aufträge abzulehnen. Vor kurzer Zeit habe ich das selbst erlebt als ich eine Anfrage zu einem Stellhebel-Seminar erhalten habe. Das Unternehmen, das mich angefragt hat, hat sich zu dieser Zeit stark im Umbruch befunden und mir war klar, dass die Abteilung, die beim Seminar teilnehmen sollte, gerade keinen Kopf dafür hat. Transferentscheidend ist aber die Tatsache, ob man genug Zeit für die Anwendung hat oder nicht. In dem Fall war von Anfang an klar, dass es aktuell keine zeitlichen Ressourcen für einen erfolgreichen Trainingstransfer gibt. Hätte ich diesen Auftrag nicht abgelehnt, dann würde ich selber nicht tun, was ich predige. Genau das ist auch meine Empfehlung für Unternehmen: Nur mit etwas anfangen, das wirklich Erfolgsaussichten hat beziehungsweise nur zu einem Zeitpunkt, an dem es Erfolgsaussichten hat.

Eine andere Intervention, die ich gerne nenne ist aufzuhören, Zertifikate für physische Anwesenheit zu vergeben! Mittlerweile ist es zur Gewohnheit geworden, dass man am Ende eines Seminars ein Zertifikat bekommt. Wenn man allerdings durch den Kopf gehen lässt, was damit eigentlich zertifiziert wird, ist es tatsächlich nur physische Anwesenheit.

Ein weiterer Stellhebel ist der „Stellhebel der Transferwartung im Unternehmen.“ Dahinter steckt die Frage, ob es im Unternehmen überhaupt auffällt, wenn etwas angewandt wird oder nicht? Welche Erwartungen werden vom Unternehmen signalisiert? Wird Transfer von den TrainingsteilnehmerInnen erwartet? Bei der Verteilung von Zertifikaten für physische Anwesenheit wird wenig Transferförderung signalisiert, weshalb ich empfehle, ein Zertifikat für die Umsetzung des Erlernten, zu vergeben. Eine Möglichkeit ist es zum Beispiel drei Monate nach dem Training eine Umsetzungspräsentation zu halten oder, dass der/die TrainerIn nach dem Seminar die TeilnehmerInnen fragt, für welchen Umsetzungserfolg man ihnen ein Zertifikat ausstellen soll.

Erfolgreicher Trainingstransfer gelingt nur wenn die Führungskräfte mit an Board sind

Um Führungskräfte ins Boot zu holen, kann eine Unterstützungs-Evaluierung helfen.

Zum Schluss möchte ich noch eine ganz wesentliche Herausforderung ansprechen, und zwar die, Führungskräfte ins Boot zu holen. Ich habe bereits öfter mit PersonalentwicklerInnen gesprochen, die es nicht schaffen, die Führungskräfte in die Trainingsmaßnahmen zu involvieren. Grund dafür sind häufig die zeitlichen Ressourcen. Eine mögliche Intervention ist hier, die Unterstützung durch Führungskräfte zu evaluieren. Ist zum Beispiel ohnehin eine Führungskraftevaluierung geplant, so könnte eine Zusatzfrage lauten, inwieweit der/die Vorgesetzte die in Seminaren erlernten Inhalte unterstützt. Kommt dabei heraus, dass die Unterstützung bisher kaum stattfindet, so hat man als PersonalentwicklerIn eine sehr gute Ausgangsbasis um bei der Geschäftsführung zu urgieren und sich mehr auf dieses Thema zu fokussieren.

Trainingstransfer mit Ina Weinbauer-Heidel
Über die Autorin

 

Dr. Ina Weinbauer-Heidel ist mit Leidenschaft an der Schnittstelle zwischen Transferforschung und -praxis tätig. Als Wissenschaftlerin, Beraterin und Trainerin macht sie mit ihrem Institut für Transferwirksamkeit wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar. Im Jänner 2017 ist Ihr Buch Was Trainings wirklich wirksam macht erschienen.

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